In den sechziger und den frühen siebziger Jahren behaupteten viele Kunsthistoriker, dass sich im Wesentlichen zwei Kunstrichtungen gegenüber ständen: Auf der einen Seite die Pop Art, die bewusst Formen und Fetische der Konsumkultur ins Museum und auf die Leinwand brachte und so eine Grenzziehung einriss, die von der anderen Seite streng eingehalten wurde: die nämlich zwischen den Formen der Gebrauchsobjekte, die den Alltag prägen, und der sogenannten Hochkultur, dem alltagsfernen Gegenreich der reinen Form, in dem nur das Verhältnis von Raum, Farbe, Proportion jenseits aller Zweckfragen verhandelt wird.
Die Wahrheit sah ein wenig anders aus; denn die Konzerne, deren Produkte als Warenfetische in der Malerei und den Objekten der Pop Art auftauchten, bestellten ihre Logos damals auffallend häufig in jenem Reich, das angeblich nichts mit ihrer Welt zu tun hatte: bei den abstrakten Farbfeldmalern und den Op-Art-Künstlern. So hatte die Deutsche Bank 1972 acht Graphiker und Künstler mit der Gestaltung eines neuen Logos beauftragt; gewonnen hat schließlich der Stuttgarter Künstler Anton Stankowski, der den heute legendären Schrägstrich im Quadrat erfand - wobei einige Kunstkenner in diesem Logo auch einen deutlichen Einfluss des Malers Karl Georg Pfahler (1926 bis 2002) erkennen wollen, dessen Werk unter anderem auf der gerade stattfindenden Art Berlin Contemporary wiederentdeckt wird.
Ganz manifest ist die Verbindung von Op Art und Produktdesign im Falle von Renault: Auch dort beauftragt man 1972, als mit dem R5 der modernste Kleinwagen seiner Zeit vorgestellt wird, keinen Designer, sondern einen Künstler damit, das Logo neu zu gestalten: Victor Vasarely (1908 bis 1998) zeichnet den Rhombus als illusionistisches Kippbild, der Renault-Kunde bekommt mit dem Auto ein Kunstobjekt geliefert, der Massenhersteller demokratisiert nicht nur den Zugang zum Auto, sondern auch den zur Kunst. Wobei Vasarely nicht der erste Künstler im Dienst einer Automarke war: Nach dem Zweiten Weltkrieg warb Fiat für den neuen 1400er mit einem wilden Gemälde, auf dem, über dem neuen Fiat, Perseus mit dem Flügelpferd und, wie ein automobiler Gott, der erste Fiat im Himmel schweben; der Maler dieser Werbung hieß Giorgio de Chirico, seinem Ruf hat das Plakat nicht geschadet.
Tragischer ist die Geschichte des abstrakten Malers Günter Fruhtrunk, der sich 1982 das Leben nahm. 1968, bei der Documenta 4, galt er mit seinen Streifen- und Schachbrettmusterbildern noch als einer der interessantesten neuen deutschen Maler. 1970 gestaltete er die Tüten für Aldi, die sein bis heute bekanntestes Werk sind - und danach all seine Gemälde wie AldiTüten aussehen ließen. Die Gebrauchshaftigkeit des Industrieartikels hatte seinen Kunstanspruch zerstört; das Werk war so sehr Pop, dass man ihm, zu Unrecht, eine Qualität als Kunst absprach und es zur reinen Deko erklärte. Dem Maler ging es mit der ikonischen Tüte wie Schauspielern, die James Bond spielen und danach immer nur als Bond wahrgenommen werden („Schau mal: Bond spielt einen Mönch!“): Wenn die Kunst einmal zum erfolgreichen Alltagsbild wird, will man sie nicht mehr im Kunstmuseum.
Dieses Paradox ist bis heute nicht gelöst, nur Vasarely ist ihm entkommen - eben auch, weil viele nicht wissen, dass das Renault-Signet nicht nur so aussieht, als ob die Autodesigner sich dabei an Vasarely orientiert haben, sondern dass es wirklich von ihm stammt. Noch heute wird ja angesichts von benutzbarer Kunst gemeutert: Selbst der Op-Art-hafte Raum, den Tobias Rehberger in Venedig 2009 als Café einrichtete, sorgte für Irritationen - besonders, als er mit einem Goldenen Löwen der Biennale ausgezeichnet wurde. Offenbar ist für viele Unbenutzbarkeit immer noch ein wesentliches Kriterium dafür, dass etwas als Kunst anerkannt wird. Trotzdem wünscht man sich, dass die Unternehmen wieder mehr Künstler statt Marktforscher an die Gestaltung des Alltags ließen - was dem in der Regel besser bekommt.