Der Galerist Stephan Geiger hat nur wenig Zeit, seitdem sein Künstler Herman de Vries auf der Biennale und in der großen Zero-Ausstellung in Berlin vertreten ist. In Venedig spricht Geiger über seinen Kampf für die Avantgarde, die Zukunft der Galerien und darüber, wie man den deutschen Kunstmarkt retten könnte.
Welt am Sonntag:
Wie erklären Sie sich den aktuellen kommerziellen und musealen Erfolg der Zero-Kunst? Das war ja nicht immer so.
Stephan Geiger:
Das ist nur in der Heftigkeit eine Überraschung. Zero gehört zu den zentralen Bewegungen der Kunst nach 1945. Die kunsthistorische Bedeutung wurde aber vor allem in den USA übersehen. Lange waren die Werke von Künstlern wie Heinz Mack, Otto Piene oder auch Christian Megert und Herman de Vries völlig unterbewertet. Wir haben für sie gekämpft. Nun hat man endlich begonnen, die Kunst in ihrem geschichtlichen Kontext zu erforschen. Die 2009 gegründete Zero Foundation in Düsseldorf hat großen Anteil an dieser Wende. Und mit der Einsicht in die historische Bedeutung kam es zu der Aufwertung am Markt. So läuft es.
Wird sich dieser Erfolg halten, oder sind die Künstler in der Gefahr, verheizt zu werden? Zuletzt fanden Ausstellungen in Düsseldorf, Berlin, Amsterdam, Baden-Baden, London statt. Auch im New Yorker Guggenheim wurden sie zuletzt entdeckt. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt.
Ich bin mir sicher, dass dies kein kurzfristiges Phänomen ist. Der Nachholbedarf der Forschung und auch des Marktes ist riesig. Als ich 1998 begonnen habe, eine Doktorarbeit über die Avantgarde der Sechzigerjahre zu schreiben, wurde ich belächelt. Heute werden die Protagonisten dieser Epoche verehrt. Der jetzt oft zitierte „Zero-Boom“ ist kunsthistorisch begründbar und abgesichert und keine Erfindung des Kunstmarkts.
Zuletzt wurde dem Kunstmarkt wieder von allen Seiten unterstellt, er sei genau für diese Erfindungen zu rein kommerziellen Zwecken verantwortlich. Was macht die Arbeit eines Galeristen aus?
Es ist die enge Zusammenarbeit mit seinen Künstlern, der intensive Austausch im Atelier, die gemeinsam durchlebten Höhen und Tiefen sowie die profunde Kenntnis der Werkentwicklung. Das unterscheidet den Galeristen vom reinen Händler. Auch wenn die Unterschiede immer mehr verwischen, ist doch gerade heute in Zeiten der fast unüberschaubaren Informationen der Galerist als Gatekeeper und primäre Vermittlungsinstanz immer noch unverzichtbar.
Ihre Galerie hält sich seit Jahrzehnten. Seit 40 Jahren vertritt sie dieselben Künstler. Was unterscheidet Ihre Arbeit heute von damals?
Der Wettbewerb ist härter geworden. Wesentlich. Weil die Anzahl der Künstler und die Menge der über sie verfügbaren Informationen sich in den letzten 40 Jahren vervielfacht haben. Viele Künstler und ihre Galerien gehen strategischer vor und blicken stärker auf den Markt. Das tut der Kunst nicht immer gut. Man sollte nie vergessen: Die meisten der heute kommerziell sehr erfolgreichen Künstler haben sich in ihren Anfängen kaum über Wasser halten können, haben sich aber dennoch auf die Kunst und ihre eigene Freiheit konzentriert. Die Verkaufbarkeit ihrer Werke hat sie nie interessiert. Zumindest nicht unsere Künstler. Sie waren frei.
Was verstehen Sie unter freier Kunst?
Zu freier Kunst braucht es eine Künstlerpersönlichkeit. Sie schafft etwas Starkes, Kompromissloses, eine Kunst, die für totalitäre Regime gefährlich ist. Die Künstler, die in meiner Kindheit bei uns ein und aus gingen, wie Max Ackermann oder Richard Neuz, waren Persönlichkeiten, die zwei Weltkriege und Verfolgung durchlitten hatten, aber von der Kraft und der Bedeutung einer freien Kunst zutiefst überzeugt waren.
Hört man heute vom Kunstmarkt, geht es meistens ums Geld. Aktuell wird heftig gestritten um das geplante Kulturgutschutzgesetz. Im Rahmen der Novellierung soll die Einund Ausfuhr von Kunst strengeren Regeln folgen. Was halten Sie davon?
Schon der Wegfall der reduzierten Mehrwertsteuer auf Kunst im Jahr 2014 macht den deutschen Galerien schwer zu schaffen. Ohnehin ist der Kunststandort Deutschland im internationalen Vergleich durch zusätzliche Abgaben benachteiligt. Das neue Kulturgutschutzgesetz wird, wenn es in der aktuell geplanten Form kommen sollte, den deutschen Kunsthandel noch weiter benachteiligen.
Wie viele Kunstwerke verkaufen Sie im Jahr?
Das habe ich nie gezählt. Tendenziell sind es wohl kaum mehr als vor zehn oder 20 Jahren, dafür nun häufiger im höheren Preissegment, da viele unserer langjährigen Galeriekünstler mittlerweile am Markt gut etabliert sind.
Die Laufkundschaft in den Galerien nimmt ab. Welche Rolle spielt der eigene Galerieraum?
Ich bin zuversichtlich, dass es auch in der Zukunft Galerien geben wird, was auch gesellschaftspolitisch wünschenswert ist, da ihnen eine wichtige soziale Rolle zukommt: die flächendeckende Grundversorgung mit aktueller Kunst – und das sogar ohne Eintrittsgeld. Die Anforderungen an den Galeristen und der Kostendruck steigen jedoch von Jahr zu Jahr. Trotzdem messe ich Ausstellungen – auch gegenüber den Messen – eine hohe Bedeutung bei und glaube, dass es ohne einen eigenen Galerieraum auf absehbare Zeit nicht geht.
Wie geht es mit Herman de Vries nach der Biennale weiter? Jahrelang ignoriert, jetzt im Fokus.
Die Biennale ist für ihn nicht mehr als die längst überfällige Würdigung eines eindrucksvollen Lebenswerks, das mit großer innerer Konsequenz und Bescheidenheit über 60 Jahre entwickelt wurde. Von Künstlerkollegen und Insidern war er stets hoch geschätzt. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass sich dies in den nächsten Monaten auch auf den Markt auswirken wird.
Wer wird als Nächstes entdeckt?
Hoffentlich jemand, der es aus kunsthistorischer Sicht ebenso verdient hat. Bei der Op-Art oder der Hard-Edge-Kunst gibt es immer noch einige, die das Potenzial für eine große Wiederentdeckung haben, wie zum Beispiel Georg Karl Pfahler oder Günther C. Kirchberger.
Warum ist Georg Karl Pfahler immer noch unterbewertet?
Dass er kommen wird, davon bin ich überzeugt. Viele wissen einfach nicht, dass es auch in Deutschland bedeutende Hard-Edge-Maler gab. Viele Museen zeigen lieber immer die gleichen drei, vier amerikanischen Künstler, als dass sie einmal – zum Beispiel im eigenen Depot – nachschauen, was es damals auch hier an spannenden Positionen gab. Einer Künstlergeneration die Treue zu halten und auf ihre Bedeutung immer wieder hinzuweisen, auch das gehört zu den relevanten Aufgaben eines Galeristen.
Was wünscht sich der deutsche Kunstmarkt? Wo könnte die Politik unterstützend wirken?
Wir brauchen eine klare Regelung der Mehrwertsteuerfrage, die die Härten des geplanten Kulturgutschutzgesetzes ausgleicht oder abfängt und uns international konkurrenzfähig hält. Das Chaos ist unerträglich und frisst zu viel Energie. So geht es nicht weiter.
Hard Edge aus Deutschland: Georg Karl Pfahlers „Oro I Formativ“ von 1962 in der Galerie Geiger für 70.000 Euro